Der Weg zu einer emissionsfreien Logistik – Interview mit Prof. Alan McKinnon

Prof. Alan C. McKinnon gives a speech

Welche Auswirkungen hat die Covid-19-Krise auf die CO2-Emissionen in der Logistikindustrie? Welche Rolle spielen Innovation und Technologie beim grünen Umbau? Was muss die Industrie jetzt tun, um Effizienz, Rentabilität und Umweltschutz zu vereinen? Und schließlich, was können die Verbraucher*innen tun, um zu helfen? Alan McKinnon, Professor für Logistik und Autor des anerkannten Standardwerkes Decarbonizing Logistics, beantwortet diese und weitere Fragen im Interview.

Warum ist es wichtig, die Emissionen von Treibhausgasen in der Logistik massiv zu senken?

Das Bewegen von Gütern, der Betrieb von Lagerhallen und Frachtterminals sowie die gesamte damit verbundene IT verursachen rund elf bis zwölf Prozent der energiebezogenen CO2-Emissionen.  Dies stellt einen bedeutenden Anteil der gesamten globalen Treibhausgasemissionen dar.  Dieser Anteil erhöht sich unter anderem auch dadurch, dass andere Sektoren ihre Emissionen schneller drosseln.  Es ist allgemein anerkannt, dass die Logistik ein schwer zu dekarbonisierender Sektor ist, zum Teil, weil logistische Aktivitäten in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich deutlich zunehmen werden, aber auch, weil er stark von fossilen Brennstoffen abhängig ist, die natürlich die Hauptquelle der Kohlenstoffemissionen sind.  Angesichts der drohenden "Klimakatastrophe" verpflichten sich immer mehr Länder auf der ganzen Welt, zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 oder früher.  Dieses Ziel umfasst neben allen anderen Wirtschaftsbereichen auch die Logistik – ihre langfristige Dekarbonisierung ist daher unerlässlich.

Wie können Hochschulen, die sich auf Logistik spezialisieren, ökologische Nachhaltigkeit in ihren Programmen abbilden?

Sie können dies auf verschiedenen Ebenen tun.  Ein erster Schritt kann sein, das Thema in bestehende Kurse über Logistikstrategie, Betriebsmanagement, soziale Verantwortung von Unternehmen usw. aufzunehmen.  Auf der nächsten Ebene können sie ein spezielles Modul oder einen Kurs zu dem Thema erstellen, die zunächst fakultativ und später verpflichtend sein können, um zentrale Fähigkeiten aller Logistikmanager*innen zu vermitteln. Auf der höchsten Ebene kann die Institution einen ganzen Master-Studiengang oder ein Weiterbildungsprogramm zu nachhaltiger Logistik einführen. Bislang haben nur wenige Institutionen dieses Niveau erreicht, obwohl die Nachfrage nach einer solchen Fachausbildung zunimmt und Anbietern solcher Programme ausreichend Lehrmaterial zur Verfügung steht.   Die KLU erreichte die zweite Stufe einige Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 2010 und plant nun die Einführung eines vollständigen Master-Studiengangs zu Nachhaltigkeit, der einen starken logistischen Schwerpunkt haben wird.

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Digitale Vorlesung mit Prof. McKinnon: Decarbonisierung der Logistik

 

 

In diesem Kurs der KLU Executive Education befasst sich Prof. Alan C. McKinnon, PhD, mit Möglichkeiten zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aus der Logistik, hauptsächlich aus dem Güterverkehr. Die Teilnehmenden dieser digitalen Vorlesungsreihe erhalten einen Überblick über die neuesten Entwicklungen des Klimawandels und daraus resultierende Herausforderungen für eine emissionsfreie Logistik. Vermittelt werden ein besseres Verständnis möglicher Maßnahmen sowie die Fähigkeit, Strategien und Auswirkungen für das eigene Unternehmen abzuleiten.

Erfahren Sie mehr über den Kurs.

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Welche Rolle spielen Innovation und Technologie bei der Verbesserung der Umweltbilanz von Logistikprozessen?

Eine wirklich entscheidende Rolle. Eine ganze Reihe von technologischen Fortschritten trägt dazu bei, die Emissionen aufgrund logistischer Aktivitäten zu senken. Im Güterverkehr verbessern neue Technologien bereits die Energieeffizienz von Motoren in LKWs, Zügen, Schiffen und Flugzeugen. Gleichzeitig fördern diese Innovationen das Herausfiltern von Emissionen in Abgasen und den Wechsel von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien.  Zeichen für diesen Wandel sind beispielsweise das verbesserte aerodynamische Profil von Lastwagen, Aufladestationen für batteriebetriebene Lieferwagen in städtischen Gebieten und sauberere Luft in Städten.  Diese technischen Verbesserungen der Fahrzeug-Hardware werden in hohem Maße durch IT-Innovationen unterstützt, die sich unter dem Begriff "Digitalisierung" zusammenfassen lassen. Diese Software-Anwendungen helfen Unternehmen, ihre Fahrzeuge besser auszulasten und Touren effizienter zu planen, was sowohl Geld spart als auch Emissionen reduziert. Der technologischen Wandel verbessert jedoch nicht nur die ökologische Nachhaltigkeit von Transportmitteln, sondern auch von logistisch genutzten Gebäuden: Der Netzstrom wird dekarbonisiert, Sonnenkollektoren auf den Dächern der Lagerhallen installiert und die Energieeffizienz der internen Prozesse erheblich gesteigert.

Wie können die neuen KLU-Partnerschaften mit privaten und öffentlichen Organisationen das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Dekarbonisierung der Logistik schärfen?

Es ist unerlässlich, dass Hochschulen wie die KLU, die intensiv Wege hin zu einer emissionsarmen erforschen, sich mit Organisationen zusammenschließen, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben. Forschungsergebnisse können so verbreitet und Fachwissen in Seminaren angeboten werden.  Ein gutes Beispiel ist die "strategische Partnerschaft" der KLU mit dem Globalen Rat für Logistikemissionen (Global Logistics Emission Council), der 2014 vom Smart Freight Centre gegründet wurde, um die Einführung, Harmonisierung und Verfeinerung der Emissionsmessung im Logistiksektor zu fördern.  Die Universität arbeitet auch eng mit dem Europäischen Forum der Führungskräfte im Bereich Fracht und Logistik (European Freight and Logistics Leaders Forum) zusammen. Im Rahmen von Partnerschaften wie diesen können Hochschulen Entscheidungsträger*innen im privaten und öffentlichen Sektor auf das Ausmaß und die Dringlichkeit der Herausforderungen infolge des Klimawandels aufmerksam machen und sie im Umgang damit beraten.

Wie kann die Industrie es schaffen, den Schutz der Umwelt zu einem zentralen Ziel zu machen - neben der Steigerung von wirtschaftlicher Effizienz und Rentabilität?

Zunächst einmal muss die Industrie erkennen, dass das Ziele einer verbesserten Öko-Bilanz nicht im Widerspruch mit der wirtschaftlichen Effizienz und der höheren Rentabilität steht.  Im Gegenteil, ökologische und wirtschaftliche Ziele harmonisieren im Allgemeinen recht gut. Beispielsweise befinden sich viele Unternehmen derzeit in der so genannten Phase der „tief hängenden Früchte“ der logistischen Emissionsreduktion – in Englisch: "low hanging fruits". Vieles, was sie in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen tun, wie z.B. die Weiterbildung von Fahrer*innen für einen energieeffizienteren Betrieb von LKWs, senken auch den Kohlenstoffausstoß.  Bedauerlicherweise gibt es wahrscheinlich nicht genügend solcher niedrig hängenden Früchte, um auch längerfristige Reduktionsziele zu geringen oder gar keinen Kosten zu erreichen.  Im weiteren Verlauf werden Unternehmen daher wahrscheinlich einige schmerzhafte Kompromisse zwischen wirtschaftlichen und ökologischen Zielen eingehen müssen, aber zumindest kurz- bis mittelfristig beinhaltet ein Großteil der logistischen Emissionsreduktion einfach die Anwendung bewährter Betriebspraxis.

Wie kann ein verändertes Konsumverhalten dazu beitragen, die Umweltbelastung durch die Logistikindustrie zu reduzieren?

Verbraucher*innen – mit anderen Worten wir alle – können vielfältig zur "Ökologisierung" der Logistik beitragen.  Sie können Verpackungen und Abfall minimieren und so zu weniger Transportvolumen, u.a. für Entsorgung oder Recycling beitragen.  Schätzungen zufolge werden zwischen 40 und 50 Prozent der Lebensmittel nach der Ernte verschwendet, ein Großteil davon im Haushalt.  Zweitens könnten die Verbraucher*innen auf Produkte mit einem geringeren logistikbezogenen Kohlenstoff-Fußabdruck umsteigen.  Dies ist viel schwieriger, da sie im Allgemeinen nicht wissen, welche Produkte in dieser Hinsicht besser sind.  Häufig sind lokal hergestellte Produkte kohlenstoffärmer, aber eine Lebenszyklusanalyse zeigt, dass dies nicht immer der Fall ist, da in der Regel nicht der Transport für den Großteil aller Emissionen eines Produkts im Regal verantwortlich ist, sondern der Produktionsprozess. Drittens kann der Online-Kauf eines Produkts und die Lieferung zu Ihnen nach Hause oder zu einer lokalen Sammelstelle die Emissionen verringern, wenn die Alternative darin besteht, dass Sie zum Kauf in ein Geschäft fahren.  Aber auch hier wird viel über die relativen Kohlenstoffemissionen im Online-Handel und im konventionellen Handel diskutiert. Leider fehlen hierfür bisher noch klare Leitlinien für Kaufentscheidungen.

Inwiefern wird sich die Covid-19-Krise längerfristig auf die Umweltbilanz der Logistik auswirken?

Die Coronakrise hatte kurzfristig eine starke Wirkung, da sie die täglichen CO2-Emissionen des Güterverkehrs laut Weltverkehrsforum weltweit um 28 Prozent reduzierte.  Dies war jedoch nur eine Reaktion auf außergewöhnliche Umstände und kein wirtschaftlich nachhaltiger Weg zur langfristigen Dekarbonisierung.  Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Covid-19-Krise diesem Ziel auf andere Weise förderlich ist.  Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass viele Unternehmen planen, ihre Lieferketten widerstandsfähiger zu gestalten, mehr Produkte vor Ort zu beschaffen und den Just-in-Time-Druck zu verringern. Dies könnte auch der Umwelt zu Gute kommen.  Die Krise hat den Wechsel zum Online-Einzelhandel verstärkt, was, wie ich in meiner vorherigen Antwort erwähnt habe, dazu beitragen könnte, die Emissionen aus dem Shopping-bezogenen Transport zu reduzieren.  Der Digitalisierungstrend, den ich ebenfalls bereits erwähnt habe, wird sich wahrscheinlich noch beschleunigen, was weitere ökologische Entlastungen im Logistiksektor mit sich bringen wird. Nicht alle Auswirkungen von Covid-19 werden jedoch ökologisch vorteilhaft sein.  Die negativen Folgen für die Finanzen vieler Unternehmen und Regierungen verknappen die Ressourcen für Investitionen in eine grüne Logistik. Ermutigt hat mich in den letzten Monaten, dass große Logistikdienstleister öffentlich erklärt haben, dass sie trotz der Covid-19-Krise an ihren Umweltverpflichtungen und -zielen festhalten. Hoffen wir, dass sie dieses Versprechen einhalten.

Im Herbst beteiligte sich Prof. McKinnon auf Einladung an zahlreichen internationalen Veranstaltungen, die sich entweder mit der Dekarbonisierung oder der COVID-19-Krise befassten, wobei er meist die Keynote hielt. Hier finden Sie eine Auswahl: