„Die Zustellung auf der letzten Meile verändert sich drastisch”

Prof. Dr. Asvin Goel, Professor of Logistics and Supply Chain Management

Paketfahrzeuge sind aus dem alltäglichen Verkehrsgeschehen nicht mehr wegzudenken – immer mehr Menschen kaufen online ein und das hat Auswirkungen auf Verkehr und Umwelt. Prof. Dr. Asvin Goel von der KLU spricht über seine Forschungsarbeit zu Routenoptimierung und emissionsfreier Lieferung und über Ideen, die die Paketzustellung revolutionieren könnten.

Professor Goel, die Straßen in der Innenstadt sind voll und werden immer voller. Was passiert auf der „letzten Meile”?

Die Zustellung auf der sogenannten letzten Meile verändert sich drastisch – das rasante Wachstum im Bereich E-Commerce sorgt dafür, dass es immer mehr Sendungen gibt. Oft sind mehrere Zustellfahrzeu-ge gleichzeitig in denselben Straßen unterwegs und verursachen Verkehrsprobleme, weil sie in zweiter Reihe parken. Hinzu kommt, dass es bei Sendungen, die noch am Tag der Bestellung oder am nächsten Tag zugestellt werden, einen Zuwachs gibt. Das führt dazu, dass man weniger Zustellungen bündeln kann, sodass Verkehrsaufkommen und Emissionen zunehmen.

Es ist offensichtlich, dass die Verkehrsemissionen reduziert werden müssen, und zwar insbesondere im städtischen Raum. Die kürzlich erlassenen Fahrverbote in deutschen Großstädten zeigen, wie dringend wir hier Lösungen brauchen. Wie kann man die Emissionen in den Städten verringern und welche Ansät-ze eignen sich für die Zustellung auf der letzten Meile?

Indem man konventionelle Dieselfahrzeuge durch Elektrofahrzeuge ersetzt, kann man Emissionen in den Stadtzentren komplett verhindern. Allerdings muss der Strom, der die Elektrofahrzeuge antreibt, den-noch erzeugt werden. Solange man nicht parallel die Energieerzeugung auf erneuerbare Quellen um-stellt, verschiebt man die Emissionen also lediglich aus den Innenstädten in die Gegenden, in denen der Strom erzeugt wird.

Im Rahmen unserer Forschung konzentrieren wir uns auf die Entwicklung algorithmischer Ansätze zur Optimierung der Routen für Elektrofahrzeuge. Mit diesen Ansätzen ermöglichen wir eine effiziente Nut-zung der Fahrzeuge. Gleichzeitig verringern wir die Distanz, die sie zurücklegen müssen – so wird weniger Energie benötigt und man muss dementsprechend weniger Strom erzeugen. Folglich trägt unsere For-schung nicht nur dazu bei, die Emissionen in den Städten zu reduzieren, sie stellt auch einen positiven Beitrag zum Klimaschutz dar.  

Ihre Forschungsarbeit ist Teil des Projekts Zukunft.de, das vom Bundesministerium für Verkehr finanziert wird: Fahrzeughersteller, Paketdienstleister und Forschungsinstitute arbeiten zusammen, um auf der letzten Meile in der Innenstadt eine „grünere“ und effizientere Zustellung zu ermöglichen, und zwar mit-hilfe von Elektrofahrzeugen. Was muss man bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge beachten?

Das Ziel dieses groß angelegten Gemeinschaftsprojekts ist es, bis 2020 in den Innenstädten deutscher Großstädte 500 Elektrotransporter auf die Straße zu bringen. Innerhalb des Projekts arbeiten wir daran, die letzte Meile mit Blick auf die besonderen Bedingungen bei Elektrofahrzeugen zu optimieren. Auf-grund der benötigten Batterien verfügen Elektrofahrzeuge im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen über weniger Platz und haben eine geringere Nutzlast. Außerdem ist ihre Reichweite stark begrenzt. Eine der Herausforderungen, die sich bei diesem Projekt stellen, ist also, zu ermitteln, wie man die Routen so optimiert, dass den Fahrzeugen auf keinen Fall der Strom ausgeht und dass sie bei Bedarf an geeigneten Ladestationen aufgeladen werden können.

Wie berechnen Sie die optimalen Routen?

Die Routen von Fahrzeugen werden normalerweise berechnet, indem man ein sogenanntes Vehicle Routing Problem oder VRP löst.  Das VRP ist eine mathematische Aufgabe, bei der verschiedene Kundenad-ressen und verschiedene Zustellfahrzeuge berücksichtigt werden müssen, die die Pakete ausliefern. Dann geht es darum festzulegen, welches Fahrzeug welche Kunden ansteuern soll, und in welcher Rei-henfolge das geschieht. Das Ziel ist es, für die Fahrzeuge Routen zu erstellen, mit denen man allen be-trieblichen Einschränkungen Rechnung tragen kann, und gleichzeitig die Strecke zu minimieren, die insge-samt gefahren wird. Bei unserer Forschung konzentrieren wir uns insbesondere auf die betrieblichen Einschränkungen im Zusammenhang mit Elektrofahrzeugen.  

Vor welche Herausforderungen stellt dieses Konzept Unternehmen?

Für die Unternehmen sind vor allem die Arbeitsabläufe schwierig: Oft werden Subunternehmer einge-setzt, die die Pakete im Auftrag des Unternehmens ausliefern. Diese Subunternehmer parken die Fahr-zeuge nach Feierabend häufig bei sich vor der Haustür. Wo und wann können die Elektrofahrzeuge dann aufgeladen werden? Wie kann ich sicherstellen, dass die Ladestation dann zur Verfügung steht, wenn ich sie brauche? Was für eine Infrastruktur ist nötig? Welchen Einfluss hat die Außentemperatur auf die Reichweite der Batterie, beispielsweise, wenn der Fahrer die Heizung anstellt? Diese und viele weitere Fragen müssen wir bei der Entwicklung der Algorithmen berücksichtigen. Das ist keine einfache Aufgabe.

Mit unserer Forschung wollen wir Unternehmen zeigen, dass man mit Algorithmen Möglichkeiten finden kann, um die zusätzlichen Kosten auszugleichen, die der Wechsel zur E-Mobilität mit sich bringt.

Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen – wie können wir die Paketzustellung noch nachhaltiger gestalten?

Der E-Commerce wird weiter zunehmen, also brauchen wir innovative Ideen, die die Zustellung auf der letzten Meile nachhaltiger machen. Eine Idee wäre es, vom öffentlichen Nahverkehr in Deutschland zu lernen. Hier haben wir normalerweise Verkehrsverbünde, in denen die Kunden mit ein und demselbem Ticket unterwegs sein können. Egal, für welches Transportmittel sie sich entscheiden und welches Ver-kehrsunternehmen sie nutzen. Jedes Verkehrsunternehmen erhält einen Anteil des Ticketpreises. Wie hoch dieser ist, wird anhand eines Mechanismus festgelegt, auf den man sich zuvor geeinigt hat.

Auf ähnliche Weise könnten wir die letzte Meile so organisieren, dass die einzelnen Zustellunternehmen in einem Verbund operieren. Innerhalb eines solchen Rahmens würde es nicht mehr passieren, dass Zu-stellfahrzeuge miteinander konkurrierender Unternehmen dasselbe Gebiet beliefern. Stattdessen gäbe es Konsolidierungszentren, in denen Pakete mit ähnlichem Ziel zu einer Gruppe zusammengefasst und optimierte Routen berechnet würden, um das Verkehrsaufkommen insgesamt zu minimieren. Die Her-ausforderung bei der Realisierung eines so revolutionären Transportsystems wäre die Umstellung eines Systems unabhängiger Unternehmen, die sich im Wettbewerb miteinander befinden, auf ein System, in dem die Unternehmen zum Wohle aller zusammenarbeiten. Das Beispiel der öffentlichen Verkehrsmittel zeigt, dass es durchaus möglich ist, ein solches System zu etablieren, wenn man ausreichend Unterstützung seitens der Behörden bekommt und wenn der nötige politische Wille vorhanden ist.