Neuausrichtung der Lieferketten in der Krise

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Prof. Alan C. McKinnon corona crisis analyses & comments

Es war eigentlich klar, dass eine Welt, die von einem Netz komplexer, eng miteinander verwobener Lieferketten durchzogen ist, im Falle einer Pandemie wie Corona extrem verwundbar sein würde – und genau das zeigt sich jetzt. Im frühen Stadium der Krise, als der Virusausbruch vor allem China betraf, sorgte man sich vor allem darum, dass die Verbindung zu Lieferkettengliedern in Fernost abgeschnitten war. Innerhalb weniger Wochen war dann die gesamte Lieferkette vom Coronavirus betroffen, rund um den Erdball, mit Blick auf die Nachfrage ebenso wie das Angebot, und das in nahezu jedem Bereich und bei nahezu jeder Produktgruppe. Inmitten all dieser Lieferketten-Trübsal gibt es jedoch auch ermutigende Berichte über Lieferketten, die in Windeseile neu konfiguriert werden, um den neuen Herausforderungen zu begegnen, vor die das Coronavirus uns alle stellt. Jetzt findet Lernen im Schnelldurchlauf statt und es ist zu hoffen, dass diese Lehrstunde auch auf lange Sicht Früchte trägt, wenn es um die Planung resilienter L

Beispiele für eine Neuausrichtung von Lieferketten im Notfall lassen sich in Kategorien einteilen:

Produktdiversifizierung: Hier nutzen Firmen die Kernkompetenzen, die sie in einem bestimmten Fertigungsbereich erworben haben, nun für die Massenproduktion lebensrettender Medizinprodukte. Hersteller von Autos und Haushaltsgeräten produzieren Beatmungsgeräte, Kosmetikfirmen produzieren Handdesinfektionsmittel, Kleidungshersteller nähen Mundschutzmasken. Für diese Hersteller liegt die Herausforderung nicht allein darin, ihre Produktionsprozesse umzustellen, sondern auch, die benötigten zusätzlichen Komponenten und Materialien zu beziehen, die sie normalerweise nicht auf Lager haben. Einige von ihnen können mithilfe von 3-D-Druck den Bedarf an externen Lieferanten für einige dieser medizinrelevante Komponenten minimieren.

Neuausrichtung des Markts: Der erzwungene Wandel vom Ausgehen zur Mahlzeit zuhause bringt massive Herausforderungen im Bereich der Lebensmittellogistik mit sich. Umfangreiche Lebensmittelbestände aus dem Großhandel, die für die Gastronomie gedacht waren, vieles davon in Großpackungen und nur für kurze Zeit haltbar, müssen jetzt zu denen gebracht werden, die sich zu Hause isolieren und die in vielen Fällen alt sind und körperliche Einschränkungen haben. Für die Unternehmen, die nahezu über Nacht ihren Kernmarkt, namentlich Restaurants und Bars, verloren haben, ist damit ein grundlegender Wandel ihres Geschäftsmodells und auch ihres Logistiksystems verbunden.

Personal-Umschichtung: Auch, wenn die Corona-Krise langfristig durchaus die Automatisierung weiterer Prozesse vorantreiben kann, ist die Logistik bislang vor allem ein Arbeitsfeld, in dem Menschen agieren. Dies zeigt sich in der aktuell massenhaft stattfindenden Umschichtung von Arbeitskräften aus Unternehmen, die vom Lockdown betroffen sind, in andere wichtige Bereiche. Sie übernehmen dort Aufgaben, die die Logistik unterstützen, etwa bei der Verteilung von Medizinbedarf, im Einzelhandel und bei der Lieferung nach Hause. Es findet gerade eine gigantische Rekrutierungs- und Umschulungsbewegung statt – und das vor dem Hintergrund immer strengerer Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Überall im Logistiksektor gibt es so immer mehr Arbeitskräfte, die der so genannten Gig Economy angehören. Einerseits sind ihre Beschäftigungsverhältnisse und ihr finanzieller Status zumeist prekär, andererseits spielen eben diese Personen jetzt eine wesentliche Rolle, um in einer Welt der Selbstisolierung die steigende Nachfrage nach Logistiklösungen für die letzte Meile zu befriedigen.

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Coronakrise: Analysen & Kommentare
Dieser Beitrag ist Teil unserer Coronaserie mit Analysen und Kommentaren von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der KLU. Sie beleuchten, wie sich die aktuelle Coronakrise unter anderem auf unser tägliches Leben, unsere Arbeitsweise und die Wirtschaft auswirkt. Lesen Sie weitere Analysen und Kommentare.