Die „Goodwill“-Blase im DAX 30 wird platzen

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Prof. Dr. Alexander Himme corona crisis analyses & comments

Das niedrige Zinsniveau hat Deutschlands größte Unternehmen zu riskanten Übernahmen verleitet. Das Ergebnis: Ihre Bilanzen weisen enorm viel sogenannten „Goodwill“ auf. Doch jetzt sorgen die Auswirkungen der aktuellen Corona-Krise dafür, dass für alle auf Goodwill basierenden Zahlen Wertminderungstests durchgeführt werden müssen – deren Ergebnis die Unternehmen in ihrer Existenz bedrohen könnte. Was ist hier schiefgegangen?

Goodwill (Geschäfts- oder Firmenwert) ist ein immaterieller Wert, der sich aus Unternehmensübernahmen ergibt. Der Goodwill beziffert die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Marktwert der erworbenen Netto-Vermögenswerte zum Kaufzeitpunkt und spiegelt Werte wie Wachstumspotenzial, Synergien und Marktzugang wider. Sehr oft kommt er allerdings auch durch übertrieben hohe Zahlungen zustande, wenn Manager einen Deal „um jeden Preis“ abschließen wollen.

Goodwill der DAX-30-Unternehmen

Ich habe die jüngsten Jahresabschlüsse der Unternehmen im DAX 30 analysiert. Aktuell weisen ihre Bilanzen eine Goodwill-Gesamtsumme von 298 Milliarden Euro aus, was im Vergleich zu 2011 eine Steigerung um 100 Milliarden Euro bedeutet. Diese 298 Milliarden Euro machen durchschnittlich 33% des Eigenkapitals der DAX-30-Unternehmen aus; es gibt darunter Extremfälle: So weist Fresenius, ein Unternehmen im Gesundheitssektors, einen mit 25,7 Milliarden Euro bezifferten Goodwill aus – ein Betrag, der mehr als das Eigenkapital des Unternehmens in Höhe von 25 Milliarden Euro ausmacht. Bayer weist inzwischen insbesondere als Folge des Monsanto-Deals einen Goodwill von 34,7 Milliarden Euro aus, das entspricht 73% des Eigenkapitals. Und die Deutsche Post berichtet einen Goodwill-Wert von 11,3 Milliarden Euro, was 79% des Eigenkapitals entspricht.

Implikationen der Corona-Krise für die Bilanzierung von Goodwill

Internationale Rechnnungslegungsstandards verlangen, dass der Goodwill einmal im Jahr auf „Wertminderung“ geprüft wird – bei entsprechender Indikation auch häufiger. Sollte der Buchwert des Goodwill seinen Marktwert übersteigen, muss eine Wertminderung vorgenommen werden. Zu den Indikationen für eine solche notwendige außerordentliche Abschreibung zählen eine Verschlechterung insbesondere negative Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds. Die aktuelle Corona-Krise mit ihrer umfassenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse macht Wertminderungstests für alle Goodwill-Zahlen zwingend erforderlich, daran besteht kein Zweifel. Denn angesichts der aktuellen Krise sind die zum Zeitpunkt der Übernahme angenommenen Wachstumsraten und erwarteten Zahlungsströme, die den Goodwill damals gerechtfertigt haben mögen, nicht mehr haltbar.

Eine existenzielle Bedrohung für die Unternehmen

Jedem Investor – und auch allen anderen Stakeholdern – muss jetzt eines klar sein: Die Ergebnisse dieser Wertminderungstests werden zu extrem schlechten Nachrichten führen. In der nahen Zukunft werden Deutschlands größte Unternehmen erhebliche Goodwill-Abschreibungen vornehmen müssen, die ihre Gewinn- und Verlustrechnungen noch tiefer in den Abgrund reißen. Wahrscheinlich noch gravierender ist es, dass diese oft riskanten Übernahmen, siehe etwa der Monsanto-Deal, so häufig überwiegend durch Schulden finanziert wurden. Die Abschreibung enormer Goodwill-Beträge, die einen bedeutenden Anteil des Eigenkapitals darstellen – oder sogar fast das gesamte Eigenkapital – wird zu einem drastischen Anstieg des Verschuldungsgrads führen. Dieser Anstieg wiederum wird Verstöße gegen mögliche Verschuldungsvereinbarungen nach sich ziehen, die für die Unternehmen ernsthafte Konsequenzen haben – bis hin zur existenziellen Bedrohung. Jetzt rächt sich, dass die Manager den Goodwill in der Vergangenheit im Rahmen der obligatorischen jährlichen Wertminderungstests nicht konservativer und vorsichtiger bewertet haben.

Warum man bei der Rechnungslegung immer „konservativ“ denken sollte

Als Professor, der an der KLU die Grundsätze der internationalen Rechnungslegung und die Grundsätze vorsichtiger Bilanzierung lehrt, bin ich reichlich desillusioniert, wenn ich sehe, dass Manager sich nicht an die Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung, insbesondere das Vorsichtsprinzip, gehalten haben und davon ausgegangen sind, dass das schon irgendwie gut gehen wird. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich immer wieder, dass Vorsicht in der Rechnungslegung aus gutem Grund angebracht ist. Auch wenn dieses konservative Denken in der Rechnungslegung bei Managern nicht sonderlich populär ist, sollte man es stets praktizieren, auch in „guten“ Zeiten, um so für die „schlechten“ Zeiten vorzusorgen. Mit Blick auf den Goodwill hat das Top-Management einen erheblichen Mangel an Vorsicht erkennen lassen und diese Sorglosigkeit geht jetzt nach hinten los. In der Corona-Krise kommt man an enormen Abschreibungen aufgrund von Goodwill-Wertminderungen nicht vorbei. Die Goodwill-Blase im DAX 30 wird platzen – mit einem lauten Knall.

Coronakrise: Analysen & Kommentare
Dieser Beitrag ist Teil unserer Coronaserie mit Analysen und Kommentaren von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der KLU. Sie beleuchten, wie sich die aktuelle Coronakrise unter anderem auf unser tägliches Leben, unsere Arbeitsweise und die Wirtschaft auswirkt. Lesen Sie weitere Analysen und Kommentare.

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