Plattformen könnten Rettungssysteme in Kenia und Indien deutlich verbessern

In Kenia und Indien warten die Menschen oft mehr als 40 Minuten auf einen Rettungswagen. Wenn er denn überhaupt kommt – Etwa ein Viertel der Anrufer*innen wartet vergeblich. Mit übergreifenden Plattformen könnten Rettungseinsätze deutlich zuverlässiger werden. Das haben Forschende der Kühne Logistics University (KLU) gemeinsam mit Wissenschaftler*innen aus den USA, Kanada und Frankreich sowie Ambulanzdienstleistern in Kenia und Indien in einer Studie ermittelt. „Modellrechnungen zufolge ließe sich die Situation deutlich verbessern, wenn das Rettungssystem mit einem Plattform-Geschäftsmodell betrieben würde“, sagt Andreas Gernert, Assistant Professor for Sustainable Operations. Fast alle Notfälle könnten dann versorgt werden.

In beiden Ländern – wie in vielen Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen – sind die Rettungssysteme schlecht organisiert. Staatliche Notfall-Hotlines funktionieren kaum. Die Menschen vertrauen ihnen nicht und rufen lieber bei privaten Rettungsdiensten an. Diese wiederum sind zahlreich, haben aber oft nur ein bis zwei Rettungswagen und sind untereinander nicht koordiniert. Inzwischen kommt Bewegung in den Markt: Mehrere Unternehmen wollen mit Plattformen diesen Mangel an Koordination und verfügbaren Rettungswagen beheben. Einzelne Anbieter können sich der Plattform anschließen. Gegen eine kleine Provision und mit geschickt eingesetzter Technologie übernimmt diese dann die Koordination: Wie eine Leitstelle nimmt sie die Anrufe entgegen und koordiniert etwa mit GPS-Tracking die Einsätze. Manche nutzen auch eigene Wagen.

Gute Koordination als Erfolgsrezept

Was funktioniert nun am besten? Die Forschenden haben drei Geschäftsmodelle miteinander verglichen: viele Einzelanbieter von Rettungswagen ohne koordinierende Plattform, die Plattform ohne eigene Rettungswagen und die „Plattform Plus“ mit eigenen Wagen. Zusätzlich haben sie eine staatlich betriebene Plattform untersucht, die keine Provisionen erhält. „Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Plattform-Modelle das bisherige System deutlich schlagen und die Versorgungslücke schließen könnten“, sagt Andreas Gernert. Und das umso besser, je höher die Koordinationsleistung der Plattform ist. Das heißt: Gelingt es einer Plattform, die Krankenwagen sowohl räumlich als auch zeitlich passgenau zu den Bedarfen zu verteilen, dann können nahezu 100 Prozent der Anrufe mit einem Rettungswageneinsatz beantwortet werden.

Zudem ist es sinnvoll, Anreize für den Kauf weiterer Wagen zu schaffen oder den Anbietern in Gegenden mit eher geringer Nachfrage Standprämien zu zahlen. Für Plattform-Plus-Betreiber lohnt sich das Geschäft besonders, da der Profit der Einsätze mit den eigenen Wagen komplett bei ihnen verbleibt. „Jedoch verschärfen sie auch den Wettbewerb. Das kann für Unmut bei den Einzelanbietern sorgen, wie Proteste in Indien gegen ein Plattform-Plus-Unternehmen gezeigt haben“, berichtet Andreas Gernert. „Letztlich sinken die Profite der Einzelanbieter aber sowieso, wenn eine Plattform in den Markt kommt – es sei denn, es ist eine Non-Profit-Plattform, wie sie staatlicherseits betrieben werden könnte.“

Zur Methodik: Mit der Spieltheorie die Marktdynamik untersuchen

Um das alles herauszufinden, haben die Forschenden sich der Spieltheorie bedient. Das funktioniert so: Wie in einem Strategiespiel gibt es verschiedene Akteure, die sich gleichzeitig verschiedene Strategien und Aktivitäten überlegen. In diesem Fall des Rettungssystems kann man sich den Start des Spiels wie ein weißes Blatt Papier vorstellen – beispielsweise die Stadt Nairobi noch ohne einen einzigen Rettungswagen. Die potenziellen Akteure müssen sich dann überlegen: Soll ich in den Markt einsteigen, mit wie vielen Wagen und mit welchem Geschäftsmodell? Wenn ich diese Strategie wähle, wie reagieren dann die anderen Akteure und was mache ich dann wiederum als Nächstes? Brauche ich dann vielleicht eine andere Strategie und wenn ja, welche?

Die Akteure müssen also andauernd Entscheidungen treffen und verschiedene Strategien durchspielen. Die Forschenden haben so modellhaft mit den verschiedenen Geschäftsmodellen die Marktdynamik durchgespielt und daraus abgeleitet, was den Rettungssystemen und damit den Menschen in vielen Ländern wie Kenia und Indien sehr helfen würde: eine Plattform mit guter Koordination.

Mehr Informationen:

  • Gesamte Publikation: Gernert, A. K., Calmon, A. P., Romero, G., & Van Wassenhove, L. N. (2024). Business Model Innovation for Ambulance Systems in Low- and Middle-Income Countries: “Coordination and Competition”. Production and Operations Management, 0(0). https://doi.org/10.1177/10591478231224973